Ein altes irisches Sprichwort besagt: „Ein Fremder ist ein Freund, den man noch nicht kennt“. Bezogen auf meine Dienstreise nach Polen letzte Woche ließe sich diese zentrale Vorteile erfolgreicher interkultureller Kommunikation spezifizieren: Wir schaffen Verbindungen und können dadurch mehr Potenziale nutzen. Es treten internationale Beziehungen hervor und der individuelle Horizont lässt sich ausweiten. Wir sehen den Wert einer (eventuellen) Kollaboration, anstatt uns abschrecken zu lassen oder Fremdheit gar zu bekämpfen.
Dazu braucht es Verständnis und als Voraussetzung dafür Dialogbereitschaft, welche übrigens auch einen wichtigen Baustein einer funktionalen Organisationskultur bildet. Diese Faktoren finden – insbesondere in der täglichen Praxis multinational ausgerichteter Unternehmen – in Meetings die wichtigste Plattform: In ihnen zeigt sich, ob Kommunikation floriert oder scheitert.
Polen handeln eindeutig nach ihrem Bauchgefühl. "Lepsze znane pieklo, niz nieznane niebo" (Lieber die bekannte Hölle als ein unbekannter Himmel) hat mein polnisch abstammender Ex-Praktikumschef immer gesagt. Nach diesem Motto bleiben Polen lieber bei einer bestehenden engen Partnerschaft, als eine neue zu schließen, nur weil sie etwas lukrativer erscheint. Je enger die Beziehung ist, desto größer sind die Chancen auf eine langfristige und erfolgreiche Zusammenarbeit. Sie stellt zudem eine Art Konkurrenzschutz dar. Bereits während des ersten Treffens wird der Geschäftspartner danach beurteilt, ob er sympathisch wirkt und wie er sich verhält. Eine zweite Chance, um den ersten Eindruck aufzupolieren, wird nur selten gewährt.
Ausländische BesucherInnen werden grundsätzlich immer herzlich begrüßt. Polen geben sich alle Mühe, um gute Gastgeber zu sein. Polnische Menschen sind sehr offen, freundlich und stolz darauf, ihre Gastfreundschaft gegenüber Besuchern zu zeigen. Ein polnisches Sprichwort besagt: „Gość w domu, Bóg w domu“ - „Gast im Hause, Gott im Haus“. Wer noch zusätzlich ein paar Wörter auf Polnisch zum Besten gibt, steigt schnell im Sympathierang. Allerdings hören die Polinnen und Polen es nicht gerne, wenn sie als Osteuropäer bezeichnet werden. Polen ist ein Teil von Zentral- bzw. Mitteleuropa!
Polen gelten tendenziell als sehr beziehungsorientiert, das heißt persönlichen Beziehungen wird eine hohe Bedeutung eingeräumt. Das schlägt sich auch im Arbeitsalltag wieder. Im Allgemeinen ist es für Polen wichtig die Person hinter dem Geschäftspartner und Kollegen zu kennen. Daher geht es am Anfang eines Treffens oder neuen Geschäftsbeziehung in erster Linie darum, persönliche Anknüpfungspunkte mit seinem Gesprächspartner zu finden. Erst wenn eine persönliche Beziehung hergestellt ist, kann Vertrauen aufgebaut werden.
Während eines Geschäftstreffens verbergen Polen ihre Emotionen nicht - vor allem dann nicht, wenn sie irritiert, frustriert oder wütend sind. Vielleicht denken Sie nun, dass dies doch nichts in einem seriösen Business zu suchen hat – doch weit gefehlt: In Polen spielen Emotionen nämlich auch im Beruflichen eine wichtige Rolle. Ausländische Besucher sollten damit vertraut sein, dass es sehr wohl gang und gäbe ist solch eine Offenheit zu zeigen und sich gleichzeitig davon nicht erschrecken zu lassen oder sich angegriffen fühlen.
Auf eine gute Stimmung am Arbeitsplatz wird in der Regel großen Wert gelegt und der Aufbau von Beziehungsnetzwerken ist unabdingbar. Im Geschäftsleben, aber auch in vielen anderen Bereichen, ist „Vitamin B“ nahezu unverzichtbar. Beziehungen und persönliche Netzwerke können viele formale Wege wesentlich verkürzen und ermöglichen es, rascher Ergebnisse zu erzielen, die man sonst nicht so einfach erreichen würde. In Polen wird das Einhalten einer Vereinbarung nicht unbedingt durch eine Unterschrift gesichert, sondern viel mehr über das Bedürfnis nach Gesichtswahrung bzw. die Angst vor Gesichtsverlust bei gemeinsamen Bekannten und Geschäftspartnern. Das Wort zählt mehr als eine Unterschrift!
Zwischen den Regionen und Altersgruppen gibt es Unterschiede, die vor allem aus der Geschichte resultieren. So gelten die Bewohner West- und Südpolens als etwas direkter, zielorientierter und entscheidungsfreudiger als die Bewohner Ostpolens. Die polnische Kultur gehört zu den Kulturen in der tendenziell indirekt kommuniziert wird. Das bedeutet, dass Informationen auf subtilere Art und Weise weitergegeben werden, als das z. B. in Deutschland der Fall ist. In Deutschland steht der Inhalt einer Botschaft deutlich im Vordergrund: Daten und Fakten spielen eine bedeutende Rolle, Fragen, Anweisungen und Kritik werden meist offen und direkt geäußert. In Österreich ist dies allerdings noch milder ausgeprägt. Dagegen wird es nicht nur im polnischen Arbeitsleben, sondern auch im Privaten eher vermieden, direkt zu kommunizieren. Stattdessen wird im Zwischenmenschlichen die Kunst der Diplomatie praktiziert. Polnische Kommunikation arbeitet deshalb mit subtilen Andeutungen, gekonnten Anspielungen und vorsichtigen Formulierungen, wobei Humor eine große Rolle spielt.
Während man in vielen Ländern den Männern und Frauen die Hand zur Begrüßung reicht, gehört es sich in Polen nur den Männern die Hand zu geben. Der Besuch von weiblichen Führungskräften wird von älteren, männlichen Geschäftspartnern anders gehandhabt, da sie sich mehr an traditionelle Verhaltensweisen halten, was sich beispielsweise bei der Begrüßung der Frau durch einen Handkuss durchaus noch zeigen kann. Jedoch können sich Geschäftsfrauen bevormundet fühlen. Da nur sehr wenige Frauen eine Stelle mit Verantwortung im Unternehmen erreicht haben, sind Männer den gleichberechtigten Umgang mit Frauen leider (noch) nicht gewöhnt.
Obwohl die polnische Gesellschaft gegenwärtig einen Wandel durchlebt, ist für sie die tendenziell starke gemeinschaftliche Orientierung nach wie vor bezeichnend. Generell werden Entscheidungen Vorgesetzter weniger in Frage gestellt. Der Chef trifft die meisten Entscheidungen, häufig auch ohne Einbeziehung seiner Mitarbeiter.
In Polen dominiert tendenziell ein polychrones Zeitgefühl, also eine parallele Zeitplanung. Die Gleichzeitigkeit mehrerer Vorgänge wird deshalb nur selten als Stress empfunden. Die Fähigkeit, verschiedene Aufgaben parallel auszuführen, ermöglicht eine größere Flexibilität in der Zeitplanung. Eine strikte Planung oder Einteilung des Arbeitstages, wie sie z.B. im deutschen Arbeitsleben meist vorherrscht, ist in Polen tendenziell nicht üblich. Daher entsteht bei einem deutschsprachigen Betrachter oft der Eindruck einer chaotischen und undisziplinierten Arbeitsweise der polnischen MitarbeiterInnen. Aus polnischer Sicht ist dies jedoch ein Ausdruck der Flexibilität und des Improvisationsvermögens gegenüber einer starren Arbeitsweise.
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